Basil in Indien 2007/2008

Bachelorarbeit am Indian Institute of Technology (IIT) Madras, Chennai, Tamil Nadu, Indien
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Wochenende mit den Gurus
Trotz der Arbeit, also der Vorbereitung der Präsentation am Dienstag, habe ich dennoch dem Campus verlassen, der selbst verlassen wirkt, da das Semester vorbei ist und ein Grossteil der Studenten nach Hause gefahren ist, nur wenige sind noch über zwecks laufender Projekte oder wegen Bewerbungsgesprächen. Meine Lieblingsmensa und drei andere Mensen in der Megamess und das Restaurant, in dem es Fleisch gibt, sind geschlossen. In meinem Flur im Wohnheim wohnt kaum noch jemand, indische Hutaffen besetzen ungehindert das Human Science Department, arrangieren kleine dunkle Türmchen in meinen Flur, zerlegen meine alten Milchkaffeepappbecher und werfen Mülltonnen um, was auch die Rehe gut können. Dieser Affe hier ist raffiniert, er öffnet den Klettverschluss und streckt seine Hand tief in die Tasche.

Des Professors Assistent arbeitet ab und zu ehrenamtlich in einem Ashram unweit des IIT. Anlässlich des Besuchs des Gurus, also des spirituellen Lehrers, fand eine Festwoche statt, unter anderem mit Aufführungen karnatischer Musik, welche ich mir anhören wollte. Zu diesem Anlass waren die Götterstatuen mit Rüstungen aus Gold geschmückt.

Personenkult in einem derartigen Ausmass hatte ich noch nicht erlebt. Der Guru sitzt auf der Bühne in wallendem rosa Gewand und mit weissem langen Bart in einem Sessel, hinter ihm ein Schrein mit seinem Bild. Anhänger drücken die Stirn auf den Boden unter ihm, legen sich flach hin, überreichen ihm riesige Blumenkränze, die kurz umgelegt und dann entfernt werden. Spender werden namentlich zusammen mit gespendeter Summe genannt. Später sitzt er erhaben in einem Sessel über dem Publikum. Am nächsten Tag singen Schulchöre, eine Art Ausscheidung hatte vorher stattgefunden, nach jeden Lied klatscht das Publikum. Dann öffnet sich der Vorhang und gibt freie Sicht auf den Guru, der seitlich an einem Tisch sitzend Milch von einem Gefäss in ein anders umfüllt. Zunächst dachte ich er tränke Kaffee, was aber in dieser Situation unpassend gewesen wäre. Er ist noch länger mit vielerlei Handlungen beschäftligt für die er eine Vielzahl von Gefässen benötigt, die er nach deren Verwendung neben sich stellt, worauf sie von einem aufmerksamen Diener sofort entfernt werden. Das Publikum klatscht nun nicht mehr für die Chöre, sondern verfolgt aufmerksam die Handlungen des Gurus.

Die zwei Inder, in etwa in meinem Alter, neben die mich der Assistent gesetzt hat, kümmern sich um mich und nehmen mich mit zum Mittagessen, das im Ashram ausgegeben wird. Es gibt zum üblichen Essen geröstete sehr salzige Chillischoten. Beissen bei gleichzeitigem Einatmen ist keine gute Idee, die Reihe alter Frauen am Boden grinst mich an, als sie meinen Gesichtsausdruck und meine tränenden Augen sehen. Die beiden Inder sind tief bewegt von der Erscheinung des Gurus, sind beide Studenten und wollen von mir photographiert werden und zwar vor dem Auto, dem einzigen Auto im Tempelhof, möglicherweise dem Fahrzeug des Gurus. Einer ruft seinen Bruder an, der Informatik studiert hat, und gibt mir dann das Handy weiter, damit ich mich mit ihm unterhalten kann.

Die Musik war wirklich gut und interessant, rhythmisch von einer erstaunlichen Komplexität. Leute um mich herum schlugen den Takt mit der Hand mit, wobei manchmal die Handfläche nach oben und ansonsten nach unten zeigte, deuteten zum passenden Zeitpunkt mit dem Finger in die Luft oder wippten mit dem Oberkörper zum Ende einer Sequenz, oder besser beschrieben bei Wikipedia: Die Abfolge eines Talas kann durch Gesten der Hände angezeigt werden: Das erste Matra jedes Vibhags wird durch Klatschen angezeigt, der Khali jedoch durch eine winkende Bewegung mit der Hand, wobei der Handrücken nach unten zeigt..Obgleich ich eine Regelmässigkeit spüren konnte, so konnte ich die Prinzipien nicht erfassen. Die Rhythmen der Mridangam-Spieler - Mridangam ist ein Perkussionsinstrument, auf dem so viele Töne gespielt werden können, dass fähigen Spielern nachgesagt wird, sie sängen durch oder mit diesem Instrument - waren noch komplexer und schneller. Dazu spielte eine Geige; der Anteil an Flageoletttönen war hoch. Dass man so Geige spielen konnte war mir neu. Sänger sangen sich gegenseitig eine Melodie vor, deren Rhythmus sie immer weiter variierten.

Vor diesem Fenster, hinter dem der Guru sass, bildete sich eine Schlange von Menschen, der Assistent schob mich dazu. Man legte ein wenig Geld auf die Fensterbank, grösste den Guru mit gefalteten Händen und leichter Verneigung, wurde gesegnet und bekam ein kleines Tütchen mit rotem und weissem Pulver das irre in der Nase juckt.

Für Sonntag hatte Lukas Karten für ein Konzert in der Stadt, der Vater eines Freundes spielte dort mit, zu dem wir mit zwei Indern aus dessen Department fuhren. Statt einer kleinen Veranstaltung war es eine Art grosser schicker Theatersaal und voller Menschen. Es war zugleich der siebzigste Bühnengeburtstag und der 75. Geburtstag des Gurus, der Hauptperson der Chennai Music Academy. Nach zwei Stunden bewegender Danksagungen und Reden seiner langjährigen Freunde und Mitarbeiter, bei der sie sich ständig gegenseitig Tücher umhängten und sich mit vielerlei Gesten dankten, teilweise sogar seine Füsse berührten, was das höchste Zeichen der Wertschätzung bedeutet, begann die Musik: Indisch & Jazz; - Saxophon, kombiniert mit Tabla und weiteren indischen Instumenten, das ganze improvisiert und mit musikalischen Dialogen, Augenkontakt und Gesten der Spieler untereinander, gibt eine tolle Mischung, später mit "degededegddegdea-drrrdegeda-dregeda!"-Gesang und Soli der einzelnen Instrumente.


Alle Photos des Wochenendes hier.

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